Ganz nah und doch so fern by Kirsten Holst

Ganz nah und doch so fern by Kirsten Holst

Autor:Kirsten Holst [Holst, Kirsten]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2015-04-17T00:00:00+00:00


17

Ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich am Montagmorgen mit großer Begeisterung in die Schule gegangen wäre. Am liebsten wäre ich hinter vorgezogenen Vorhängen im Bett geblieben, bis alles vorbei wäre. Aber ich wußte, es würde nicht einfach vorbeigehen, ich könnte das Unvermeidliche höchstens hinauszögern. Außerdem würde ich mich elend fühlen, wenn ich mich versteckte. Ich hatte also keine Wahl. Den Schulbus zu nehmen, fand ich dann aber doch unerträglich, und deshalb fuhr ich mit dem Rad, obwohl es ein entsetzliches Wetter mit Sturm und Schneeregen war – das verschaffte mir immerhin einen kleinen Aufschub.

Auf dem Weg in unser Klassenzimmer kam ich an zwei Mädchen vorbei. Sie sahen mich bloß gleichgültig an, tuschelten nicht und steckten auch nicht die Köpfe zusammen. Trotzdem war ich grauenhaft nervös, als ich das Klassenzimmer betrat.

Die anderen waren alle schon da. Ich packte meine Tasche fester und steuerte auf meinen Tisch zu.

In diesem Moment drehte Lisbeth sich um und erblickte mich.

'Na, seht doch bloß, wer da kommt!' rief sie dramatisch. 'Der Staatsfeind Nummer eins! Claus! Der Oberschwule von allen Schwulen! Das Pest- und AIDS-verbreitende Ungeheuer, Gottes Strafe für die 2 g! Wie kannst du es überhaupt wagen, dich hier noch blicken zu lassen?'

Ich stand mitten in der Klasse und ließ ihren Wortstrom über mich hinfluten. Die anderen glotzten verwirrt erst sie und dann mich an, als ob sie keine Ahnung hätten, wovon Lisbeth da redete. Vielleicht hatten sie wirklich noch nichts gehört, aber Lisbeth wußte natürlich alles. Ihr kleiner Bruder war in Rikkes Klasse und hatte ihr sicher die ganze Geschichte erzählt.

Ich ging zu meinem Tisch und setzte mich, und plötzlich hatte ich Lisbeth und ihr großes, grobes Mundwerk unverschämt lieb. Sie tat das einzig Richtige: Sie faßte das Ganze als einen riesengroßen, grotesken, absurden Witz auf.

Sie kam zu mir und legte mir die Hand unters Kinn. 'Hast du heute Make-up aufgelegt?' fragte sie und zwinkerte mir zu. 'Uff, nein, nicht mal richtig rasiert bist du.' Sie drehte sich zu Agathe um. 'Du wirst dir einen anderen Platz suchen müssen, Agathe. Wenn er dich anhaucht, dann bist du eine tote Frau. Claus, mein Schnuffel, gib mir den Todeskuß!'

'Was zum Teufel ist eigentlich in dich gefahren?' fragte Mini.

'Was soll denn los sein mit Claus?'

Lisbeth lachte begeistert. 'Habt ihr das nicht gehört? So ein Haufen von alten Zicken in Lilleby hat sich AIDS und Schwule in den Kopf gesetzt, weil es im Moment nichts Besseres zum drüber Tratschen gibt, und dann haben sie dafür gesorgt, daß Claus als Trainer gefeuert worden ist.'

'Was ist das denn für ein Quatsch?' fragte Mini. 'Was hat Claus damit zu tun?'

'Er war doch Trainer bei den ...'

'Ja, zum Teufel, das weiß ich auch', fiel Mini ihr ins Wort. 'Aber was hat Claus mit AIDS und Schwulen zu tun?'

'Sie haben ihn zum Schwulen ernannt.'

'Claus?' Mini stieß ein ungläubiges Lächeln aus. 'Die müssen ja knatschverrückt sein!'

'Ja, das versuch’ ich ja die ganze Zeit zu erzählen.'

'Stimmt das, Claus?' fragte Mini.

'Ja, das stimmt', sagte ich peinlich berührt.

'Meine Fresse!' rief Mini.

'Am Ende muß er noch mit einer



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.